Friesendeern

Das April-Motto des Jahres-Sewalong von Fräulein An lautet „gut betucht“. Dies zum Anlass genommen zeige ich mal, wie die Friesen ihr seidenes Schultertuch tragen. Denn wir haben in Norddeutschland natürlich auch Trachten! Sie sind weitgehend schwarz, beeinflußt von der spanischen Weltmode des 16. Jahrhunderts mit einer weißen Schürze, einer Haube und dem auffallenden Silberschmuck. Bei der Amrumer Friesentracht  zum Beispiel (Link zu einem kleinen Youtube-Film, der im TV gelaufen ist) werden Schulter- und Kopftuch aufwändig drapiert und mit Stecknadeln festgesteckt.

Friesendeern

Ganz so dunkel mag ich es aber nicht. So habe ich mich nun an etwas Dirndlartigem versucht, auch weil ich mal probieren wollte, ob ich einen Miederschnitt hinkriege. Dabei trage ich mein Schultertuch entweder vorn oder seitlich eingesteckt, was nur bedingt hält. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten zur Befestigung, wo ich keine Angst haben muss, dass es piekt?

Tracht2

Vielerlei Möglichkeiten zur Linienführung der Teilungsnähte an Miedern gibt es jedenfalls. Ich habe mir einige angeschaut und dann versucht, eine Version mit eckigem Ausschnitt umzusetzen. Das vordere keilförmige Mittelstück, begrenzt von schmalen Streifen, die von der Schulter schräg zum Saum führen, lassen die Seitenteile unten recht breit werden. Der Rücken mit seinem ebenfalls eckigen Ausschnitt wird durch schmal zulaufende Teile geformt.  Die vielen Nähte wirken dabei wie dekorativ gequiltet.

Der Schnitt des Mieders baut auf den eines Korsetts auf, das ich hier gezeigt habe. Die Maße für die Reduzierungen am Grundschnitt sind von der Weite des getragenen Korsetts genommen, nicht vom Korsettschnittmuster selbst. Wenn man die Materialstärke durch die Spiralstäbchen und die doch individuelle Schnürung des Korsetts bedenkt, kommt man zu etwas mehr Weite. Am Korsett auszumessen ist sogar einfacher als wirkliche Körpermaße zu nehmen, denn es gibt durch die stabile Form kein Wenn und Aber. Vorder- und Rückenteil wurden einzeln gemessen und bearbeitet, denn die Seitennaht sollte sich nicht schräg verschieben, beziehungsweise senkrecht bleiben. (Sie liegt etwas parallel verschoben gegenüber die des Grundschnitts, wie die Skizze zeigt, weil sie mit der des Korsetts übereinstimmen sollte.) Praktisch habe ich die Weite über der Brust, an der Taille und auf der Höhe, wo der Miedersaum zu liegen kommen soll, gemessen. Die auf diesen Höhen gemessenen Maße von Grundschnitt und Korsett habe ich voneinander abgezogen, um zu ermitteln, wie groß die Abnäher nun sein müssen. Zwischenmaße ergaben sich dann.

Der Grundschnitt beschreibt den Körper passgenau aber dennoch locker. Meistens wird das Volumen für die verschiedenen Schnitte vergrößert. Ich fügte nun jedoch Auskehlungen hinzu, hauptsächlich vorn. Das Bild zeigt schematisch die Proportionen, wie sie möglicherweise für jeden anderen Grundschnitt mit individuellen Maßen übernommen werden können.

Miederschnitt

Die schwarzen Linien zeigen den Grundschnitt (nach Neue Kunstschule Zürich), die roten Umrisse gehören zum Mieder. Ich wusste, welche Form die Teile in etwa haben sollten und ich wusste, wie viel ich abziehen musste, aber nicht, wo das passieren sollte. Durch Ausprobieren habe ich dies erreicht.

Zu beachten waren nicht nur die Abnäherinhalte sondern auch, dass die Nahtlängen der nebeneinander liegenden Teile gleich lang sind. Das habe ich jeweils mit einem aufrecht gestellten Maßband kontrolliert.

Friesendeern3Das  Mieder ist aus braunem Samt gearbeitet. Ich hatte mir den Stoff schicken lassen. Als ich ihn sah, war ich erstmal desillusioniert, denn der kurze Flor war übel zerdrückt. Nach dem Waschen habe ich ihn in feuchtem Zustand sorgfältig gebürstet und von der Rückseite gebügelt. Nach der aufwendigen Pflege sah er dann aus wie erwartet.

Weil ich unter dem Mieder das Korsett trage, bräuchte ich für das Mieder selbst keine weitere Stabilisierung durch Stäbchen, dachte ich. Leichte Falten in der Taille gibt es aber dennoch. Ich kann es auch ohne tragen, aber dann wird es noch schlimmer und die Form ist insgesamt weniger straff. Allerdings muss ich zugeben, die gerade Haltung, die man mit Tragen eines Korsetts einnimmt, ist auf Dauer auch anstrengend.

Dirndlbluse

Die Bluse aus Batist mit Lochstickerei besteht vom Zuschnitt her aus breiten Streifen, die mittels Gummizügen eingekräuselt sind. Da es nur einen halben Armausschnitt gibt und dem Ärmel die obere Hälfte der Armkugel fehlt, bleibt die Schulter frei. An die vordere Mitte ist noch etwas Weite zum Einkräuseln angefügt.

(Die andere Bluse mit den Rüschen am Ausschnitt ist gekauft.)

Friesendeern1

Der Rock ist nicht etwa ungebügelt, sondern aus einem gecrashten Stoff gemacht. Er besteht aus drei trapezförmigen Teilen. Jedes Teil ist am Saum 70 Zentimeter breit, so wie eine halbe Stoffbahn. Oben mittig messe ich 45 Zentimeter. Die insgesamte Rocklänge soll etwa 60 Zentimeter betragen. Der hüftig sitzende Formbund ist 7 Zentimeter hoch und wird vom Mieder bedeckt sein. Die drei Teile habe ich zum Ring aneinandergenäht, ausgerundet und eingekräuselt. So habe ich die dezenten Streifen im Muster waagerecht behalten. Der Rock ist hinten an einer Naht mit Knöpfen und Drucknöpfen zu schließen. Die zwei Nähte im Vorderteil fallen zwischen der Kräuselung kaum auf. Einen etwas kürzeren Unterrock für mehr Volumen habe ich auf die gleiche Weise hergestellt. Ich hatte zuerst gedacht, ich lasse die Spitzenkante herausschauen, aber das gefiel mir dann doch nicht.

Friesendeern2

Die mit der Nähmaschine und einer Springnadel frei gestickte Plakette zeigt das Haus meiner Großeltern (größeres Bild durch Anklicken). Das Motiv sollte etwas sein, womit ich als Norddeutsche etwas anfangen kann. Es hätte auch ein Fisch sein können aber natürlich kein Hirsch oder so. Der Rand ist mit eng eingestelltem Zickzackstich über einer Kordel gemacht.

Bezüglich der Farben meiner Tracht fiel mir das Reet ein, das die Gräben ziert und die Dächer deckt. Frühmorgens ist dieses Schilfgewächs mit Rauhreif bedeckt und das Mieder daher mit Silberspitze garniert.

Es ist zwar noch etwas kühl mit Blüschen, aber wir hoffen ja auf mehr Sonne. Mal schauen, wie mutig die anderen Hobbyschneiderinnen vom MeMadeMittwoch sind!

14 Gedanken zu “Friesendeern

  1. Kleines Quota 18. April 2017 / 16:59

    Wow! So viele, liebevolle Details! Sehr schön und beeindruckend. 😲

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  2. Martina 19. April 2017 / 11:43

    Der Herstellungsprozess ist spannender als so mancher Krimi, den ich gelesen habe. Vor so viel Kenntnis ziehe ich meinen Hut. Ich finde deine Tracht gelungen.
    LG Martina

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    • formspielerins werke 19. April 2017 / 13:43

      Danke, bei dem Vergleich mit einem Krimi muss ich schmunzeln! Ich habe mein Vorgehen so genau beschrieben, dass es praktisch jeder nacharbeiten könnte. Wenn es jemand täte, würde ich natürlich gern davon erfahren.

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  3. SuSe on the Riverbank 19. April 2017 / 12:05

    Diese Tracht sieht wunderschön aus. Da steckt sehr viel Fachkenntnis, Arbeit und Zeit drin, die sich aber definitiv gelohnt hat
    LG SuSe

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    • formspielerins werke 19. April 2017 / 13:49

      Ich freue mich auch sehr daran! Aber ach, die Fachkenntnis, es hat sich mehr so ergeben, während ich mich damit beschäftigt habe.

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  4. Frau Feinmotorik 19. April 2017 / 16:53

    Ich lese Deinen Blog und mir steht der Mund vor Staunen offen.
    Ich bin ja noch ganz am Anfang meiner Nähkarriere und bin echt begeistert von Deinem Können. Toll!

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  5. Martina Hadaller 19. April 2017 / 20:45

    Wunderschön. Kleid, deine Gedanken dazu, die Darstellungen wie Du das Schnittmuster erstellt hast. Ich wünsche Dir eine schöne Zeit in diesem besonderen Kleid.
    LG
    Martina

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  6. nealich 29. April 2017 / 7:28

    Hallo, deine norddeutsche Tracht gefällt mir unheimlich gut!!! Vielen Dank, dass Du die einzelnen Arbeitsschritte so ausführlich beschrieben hast! Meine (fränkische) Tracht ist noch im Werden und auch sie ist sehr aufwändig gearbeitet und kein Vergleich mit einem Dirndl… Leider hört frau das viel zu schnell: Achso, ein Dirndl… Nein, kein Dirndl, eine Tracht!!!
    Dir ein feines, langes Wochenende und herzliche Grüße, Katrin

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    • formspielerins werke 29. April 2017 / 18:56

      Obwohl ich auch nichts gegen fröhliche Varianten habe. Es gab 2014 einen Dirndl-Sewalong auf dem MeMadeMittwoch-Blog. Da hatte ich noch keinen eigenen Blog und habe mich dort schon mit einem Bild beim Finale „eingeschlichen“. Ich werde es demnächst noch genauer vorstellen, wenn wieder Kieler Woche ist. Auch das ist nicht korrekt nach den Regeln der Kunst gemacht, denn von den üblichen Techniken habe ich erst während des Sewalongs etwas mitbekommen. Vielen Dank für dein Interesse! Ich freue mich, wenn ich Rückmeldungen bekomme.

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  7. made with Blümchen 4. Mai 2017 / 10:59

    Wie du das beschreibst und die liebevollen Details finde ich wunderbar. Das Haus Deiner Großeltern drauf zu sticken – auf die Idee muss man erst mal kommen! lg, Gabi

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