Rote Jeansjacke

offenUm den Schnitt einer klassischen Jeansjacke zu erforschen, habe ich mir diverse Jacken im Internet und im Alltag an Leuten angesehen. Ein bereits mit Zugaben versehener Grundschnitt war meine Ausgangsbasis.

Das Vorderteil ist, wenn man die Knopfleiste mal außen vor lässt, zweimal senkrecht unterteilt, wobei das mittlere Teil meist zum Saum hin schmaler zuläuft.

Für die Gestaltung der vorderen Schulterpasse habe ich den großen Brustabnäher  zugelegt. Was im untren Bereich an Abnäherinhalt dann noch übrig war, habe ich vom ersten und dritten Streifen weggezeichnet.

Auch im Rücken läuft das Mittelteil nach unten hin schmaler zu. Schulterpassen und Bund bilden den waagerechten Teil des „richtungsgegensätzlichen Gestaltungsprinzips“. Mit anderen Worten: Man will es kastig.

Aufgesetzte Brusttaschen müssen auf jeden Fall sein. Die senkrechten Paspeltaschen an den Seiten habe ich mir mal gespart. Man sieht sie kaum, und ich würde sie sowieso nicht benutzen, weil ich immer denken würde, dass ich meine Sachen verliere. (Außerdem ist es eine zusätzliche Gefahrenquelle fürs Misslingen.) rueckenansicht

Für das Vorderteil war klar, dass ich auf Taillenabnäher verzichten wollte. Im Rücken habe ich jedoch sehr viel herausgenommen, was die Schulterbreite betont. Es stellte sich nach zwei Probemodellen, die ich eigentlich hauptsächlich wegen der Ärmellösung gemacht habe, heraus, dass es sich am besten machte, wenn man bis über die Taille hinaus einen Keil herausnahm. Für manchen klingt das vielleicht trivial, aber wenn man weiß, wie ein Taillenabnäher normalerweise aussieht, nämlich wie eine spitze Raute, finde ich es schon mutig, von Taille bis Bund parallel Weite herauszunehmen. Die Form wurde aber einfach besser, wenn man noch einen Schritt weiterging, und auf  Höhe des Bundes die größte Abnäherbreite anmerkte. Nun ist es ja aufgrund seiner Länge kein Abnäher mehr, sondern man teilt ab in Mittelteil und Seitenteile. Die Taillierung findet also am Bund statt. Wenn man gleich gewusst hätte, wie lang die Jacke werden sollte, hätte ich es vielleicht leichter haben können.

Die Hose ist übrigens nach meinem Standart-Jeansschnitt gemacht, von dem ich hier schon einmal geschrieben hatte. Je nach Stoffdicke fällt er unterschiedlich aus. Da ich meine Jeanshosen schon seit einiger Zeit selbst nähe, hatte ich fast schon vergessen, dass man ja üblicherweise die Kappnaht (oder eine Imitation davon) am Innenbein anbringt. Vor kurzem fiel ich durchs Anschauen bei anderen Bloggern wieder darüber und wunderte mich erstmal. Aber tatsächlich, bei allen Kaufhosen war das auch so. Natürlich ist mir klar, dass von der Entstehungsgeschichte her die Jeanshose eine Arbeitshose war, die an der Innenbeinnaht der größten Belastung ausgesetzt war. Aber heute kann ich die Kappnaht doch auch dekorativ nutzen, oder nicht?bewegungsfreiheit

 

Das Schwierigste war die Ärmelgestaltung. Will man einen schön fallenden Ärmel, muss er eine lange Kugel haben. Will man einen Ärmel mit viel Bewegungsfreiheit, muss er eine kurze Kugel haben. Hier war die sportliche Variante mein Ziel. Das Armloch musste vergrößert werden, was natürlich auch am Ärmel Konsequenzen hat. Müller & Sohn erklärt die Zusammenhänge ganz genau und zeigt die Vorgehensweise für verschiedene Zwecke.

 

Ich habe mich erstmal für Schulterpolster entschieden, weil die Armkugel im Profil dann besser aussieht. Andere haben mehr Schulter und brauchen sie nicht, ich schon. Und wenn es mir doch zuviel wird, kann ich sie ja auch wieder heraustrennen. Der Platzbedarf wird im Schnitt berücksichtigt. Auch das Futter hatte ich erstmal erweitert zugeschnitten. Das bedeutete, dass an Schulter und ein kleines Stück in die Armkugel hinein abgenäht werden konnte, wollte man innen nicht zuviel Stoff haben.

kragen

Der Kragen ist ein Liegekragen mit Steg. Aus dem gebogen geschnittenen Kragen ist ein Streifen herausgeschnitten, der durch einen gerade geschnittenen ersetzt wird. Das macht man, so denke ich mir, weil der Kragen dadurch besser sitzt. Der Stoff wird im Innenbogen nicht gestaucht und die Nähte geben Richtung und Stabilität.

manchettenriegel

Der zweiteilige Ärmel schließt mit einer Manchette ab. Für den Ärmelschlitz ist ein angeschnittener Untertritt nötig. Beim Füttern entstand die Schwierigkeit, ihn zu umgehen. Auf dem Bild sieht man, dass mir eigentlich etwas Nahtzugabe fehlt.

innentasche

Und da kommt der Riegel von der Oberseite zum Einsatz. Seine Gestaltung ist wieder einmal kein Zufall. Mit dem Kreuz kann die Stelle breit abgesteppt und das Futter gut mitgefasst werden. (Leider habe ich erst beim zweiten Ärmel begriffen, dass hier eine ähnliche Situation vorliegt wie bei der Blazertasche.)

Insgesamt hat das Füttern ein wenig gedauert, ich wollte in der Arbeitsfolge nichts falsch machen, was später nicht mehr zu ändern wäre. Zuerst habe ich Kragen und Besatzkanten fertig gemacht, danach Saum und Ärmel. Der innere Besatz ist auch in Oberstoff gehalten. Im Futter habe ich den Brustabnäher zur vorderen Mitte gedreht. Die kurze Naht wird auf der linken Seite teilweise von der Innentasche abgedeckt.

geschlossen

Der Oberstoff war ursprünglich für eine Hose bestimmt. Nach dem Waschen wusste ich dann, wieso er reduziert angeboten worden war. Der bedruckte Stoff hatte an Knickstellen in der Waschmaschine seine Farbe verloren, eine Krakelürenoptik war entstanden. Für eine „gute“ Hose war der Stoff nicht mehr zu gebrauchen und eine weitere in Jeansmanier zu nähen hatte ich eigentlich nicht vor. Für eine schon lange geplante Jeansjacke fand ich den Used-Look jedoch perfekt.

Obwohl, ein bisschen Bedenken, was wohl nach weiteren Wäschen passieren wird, habe ich schon, gerade weil ich soviel Arbeit in das Projekt gesteckt habe. Wenn nötig, wasche ich das gute Stück per Hand, damit keine schrägen Streifen entstehen. Beim Zuschnitt hatte ich solche Stellen schon aussparen müssen. Über die Stoffart weiß ich nicht viel zu sagen, aber Jeans ist es wegen der leichten Rippenstruktur wohl nicht. Etwas Stretch ist auch dabei. Das Futter ist ein Patchworkstoff aus Baumwolle.

Mit den Knopflöchern habe ich mir ganz besonders viel Mühe gegeben. An Blenden sollen Knopflöcher senkrecht sein, sonst immer waagerecht, habe ich gelesen, und dann auch so gemacht. An Bund, Riegel und Manchetten sind Augenknopflöcher, an der Knopfleiste einfache.

Meine ersten gestickten Knopflöcher sahen furchtbar aus, meist weil die Stiche zu weit auseinander standen. Das Durchblitzen des Stoffes versuchte ich zu beheben, indem ich noch  Fäden unter die Raupe durchgezogen habe, um quasi Gimpe zu imitieren. Es wurde aber eigentlich nur schlimmer. Eine Gimpe ist ein dickerer Faden, der mitgeführt und umstickt wird, um dem Knopfloch mehr Plastizität zu geben aber auch Halt. Die Stiche mussten also so dicht es geht nebeneinander gesetzt werden. Wenn man erstmal akzeptiert hat, dass man nicht schneller voran kommt als die Fadenstärke vorgibt, geht es. Als ich ein paar Knopflöcher gemacht hatte, fiel es auch nicht mehr so schwer, die ersten wieder aufzumachen und es noch einmal zu versuchen. Langsam entwickelte sich eine Systematik. Auf den Bildern sieht man meine Methode für den Anfang, der mir lange nicht klar war:

Ich steche an einem Ende des vorbereiteten Knopflochschlitzes ein und lasse das Ende des Fadens auf der Stoffoberseite liegen. Den benutze ich dann als eine Art Führung. Eine richtige Gimpe wäre von Vorteil, so etwas hatte ich jedoch nicht. Mit der jetzt auf der Unterseite des Stoffes befindlichen Nadel gehe ich mit dem gesamten Faden durch den Schlitz auf die Oberseite. Von hier aus gehe ich nur mit der Nadel wieder zurück durchs Knopfloch und steche von unten im Abstand der Breite der gewünschten Raupe vom Schlitz entfernt aus. Wenn die Nadel halb zu sehen ist, nehme ich den doppelten Faden vom Nadelöhr und lege ihn um die Nadel. Dann ziehe ich die Nadel ganz durch den Stoff. Die entstandene Schlinge wird gut angezogen. Danach geht es genauso weiter: Immer die Nadel durchs Knopfloch zur Ausstichstelle führen und halb ausgestochen den Faden vom Nadelöhr umlegen. Der Vorteil des frühen Umlegens des Fadens liegt darin, dass man nicht lange nach der Schlinge suchen muss und den Faden erstmal entwirren muss, weil er sich nach einigen Stichen auch gern mal verdreht. Am Ende einer Raupe werden drei Stiche über die ganze Knopflochbreite gemacht, die dann umwickelt werden, vorn und hinten. Sinnvoll ist, hin und wieder auch am Stoff zu fixieren.

paspelknopfloecher

Auf der Innenseite der Jacke sind für die Paspelknopflöcher zwei durchgängige Stoffstreifen angebracht, die ich erst später durchgeschnitten habe. So liegen die Knopflöcher schön auf einer Linie. Die Paspelstreifen werden nach dem Wenden auf die kleinen Dreiecke genäht, welche entstehen, wenn man den Stoffschlitz nach beiden Seiten y-förmig einschneidet.

ziegel

Tja, und nun bin ich mächtig stolz auf mein Jäckchen. Wir haben uns schon richtig gut angefreundet über die Entstehungszeit. Ich hoffe ja auf einen sonnigen Herbst, damit wir noch ein bißchen zusammenbleiben können. Was meint ihr, kann ich so gehen? Fällt jemandem etwas auf?

Ich reihe mich dann mal ein beim MeMadeMittwoch in die Riege der Neuerscheinungen.

13 Gedanken zu “Rote Jeansjacke

  1. Ute 28. September 2016 / 13:11

    Boah, wie toll! Das liest sich nach einer ganzen Menge Aufwand (den ich wohl immer scheuen werde) und akkuratem Arbeiten. Das Ergebnis sieht einfach super aus!
    Grüße von
    Ute

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    • formspielerins werke 28. September 2016 / 15:27

      Ja danke! Es muss ja nicht immer alles sofort fertig werden. Hat man nicht früher den ganzen Winter über an irgendetwas gepuzzelt, und zwar nach der anstrengenden Feldarbeit?! So muss man das sehen. Du glaubst gar nicht, wie meditativ dieses Knopflochsticken sein kann.- Regina

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  2. kuestensocke 28. September 2016 / 15:48

    Wunderschöne Jacke, auch das Innenfutter gefällt mir sehr. Mit den Knopflöchern hast Du Dir sehr viel Mühe gemacht – für mich wäre das nichts. LG Kuestensocke

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  3. Siebensachen 30. September 2016 / 10:01

    Hier gefällt mir einfach alles: Die Jacke selbst, die vielen schönen Details, wie gut sie dir steht, wie ausführlich und informativ du das Nähen beschrieben hast und auch die Fotos. Ganz großes Kompliment. Ich kann mir auch vorstellen, wieviel Mühe und Zeit das Schreiben eines so guten Posts braucht. Danke.
    Übrigens: Helle Knicke in Baumwolle und Leinenstoffen nach der ersten Wäsche kann man vermeiden, wenn man den Stoff mehrere Stunden, z.B. über Nacht, in kaltes Wasser legt. Die Fasern saugen sich mit Wasser voll und quellen auf; ich denke, das verhindert das Knicken und Farbeverlieren. Bei mir hat es bisher sehr gut funktioniert (habe es in meinem Blog beschrieben), auch bei sehr dunklen Stoffen. Den Tip habe ich von einem Händler für Leinenstoffe.
    LG
    Siebensachen

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    • formspielerins werke 30. September 2016 / 16:29

      Das ist ja interessant mit dem Einweichen, werde ich ausprobieren! Vielen Dank für den Tip. Ich freue mich immer über Rückmeldungen, denn ja es ist auch Arbeit, einen informativen Post zu schreiben. Regina

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