Chanel-Kostüm Teil 3

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Nun ist auch die Jacke fertiggestellt. Aufgrund der aufwendigen Verarbeitungsmethode waren einige Strecken Handnähte zu erledigen, so etwa acht Meter, das Pikieren der Organza und Befestigen der Nahtzugaben nicht mitgerechnet. Beim Rock waren es immerhin auch drei Meter. Das hatte ich unterschätzt. Und dann sieht man das alles nur von innen!

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Der Schnitt und vorbereitende Arbeiten wurden in Teil 1 besprochen. Was ich noch erwähnen wollte ist, dass diese wie alle Jacken, die ich bisher nach dem Müller & Sohn-Schnittsystem genäht habe, eine halbweite Konstruktion ist, d.h. mit mittleren Zugaben. Das fand ich für den Anfang sinnvoll. Sicher werde ich aber auch noch mal eine anliegende Konstruktion anfertigen. Daher ist diese Jacke auch nicht ganz so eng, wie man sie vielleicht als Bild für eine klassische Chaneljacke im Kopf hat, vom Laufsteg kennt. Ich finde sie absolut in Ordnung, komfortabel und seriös, und ich will das Kostüm auch noch tragen können, wenn ich eine alte Frau bin. Es soll zeitlos chic und bequem sein, ganz so wie Madame Chanel es gemeint hat. (Sehenswert finde ich die Videos von Inside-Chanel.) Interessant wäre aber auch eine kurze Jacke in ecru oder schwarz zum Beispiel, wo bei einem unauffälligeren Stoff ohne Richtung die Borte besser Designelement sein kann.

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Denn mit der Dekoration hatte ich so meine Schwierigkeiten: Fransenkante kam wegen der ungleichmäßig dicken Bänder, die mit verwebt sind, nicht in Frage. Helle Borte stach zu stark hervor und liess das wollweiße dunkel wirken. Rote Borte gab es nicht im passenden Farbton. Schwarze Borte ließ einen harten Schwarz-weiß-Kontrast entstehen. Ich wollte, dass das Rot besser herauskommt, hatte sogar die Idee, das Design ähnlich einem Blouson mit rotem Bündchen zu gestalten. Gold war als Kombination schön, kam aber auf dem strukturierten Stoff nicht gut zur Geltung. Zusammen mit dunkelrot wirkt es jedoch sehr gut. Bei den akzentuierenden Taschen ist die goldene Paspel mit verstärktem Futterstoff eingefasst. Sie sind mit Seidenfutter verstürzt und möglichst unsichtbar von Hand aufgesetzt. Auch der goldene Reißverschluss ist mit dunkelrotem, verstärkten Futterstoff eingefasst.

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Die Naht ist in der Falzkante, so dass man sie von rechts nicht sieht. Für das Falzen des Bandes habe ich einen Schrägbandfalzer von 2,5 Zentimeter benutzt (die äußere Schmalseite später abgeschnitten). Der Reißverschluss musste gekürzt werden, was ich sogar zweimal gemacht habe. Mit einem Seitenschneider kann man jede einzelne der metallisierten Ösen der Spirale durchknipsen und herauspfriemeln bis am Ende die Kralle wieder angebracht wird.

Es macht schon einen Unterschied, ob man den Reißverschluss ganz an den Rundhalsausschnitt heranführt oder ob er etwas früher an einer Rundung endet. An der Stelle hätte ich mir gewünscht, Gewebeeinlage aufgebügelt zu haben statt nur mit Organza zu hinterlegen. Diesen Gegenschwung auf beiden Seiten gleichmäßig hinzukriegen war bei der Faserigkeit etwas difficil.

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Um die Seide nicht gleich zu ruinieren ist innen am Halsauschnitt noch ein ungefaltetes Jerseyschrägband aufgesetzt. Das kann ich bei Bedarf mal austauschen.

Damit ich den Halsausschnitt nicht einfach so ohne Orientierung einschlagen musste, habe ich an der Stelle nochmals Organza zu Hilfe genommen und einen Besatz zum Verstürzen angebracht. Das Futter konnte dann mühelos dagegen genäht werden.

Schulterpolster hatte ich extra bezogen, damit sie nachträglich angebracht werden können. Aufgrund des Quiltens sind sie ja nicht so leicht unter dem Futter zu platzieren. Letzlich habe ich aber doch auf sie verzichtet. Wie bei einer weichen Wolljacke, was diese ja praktisch ist, wirken sie nur merkwürdig bucklig.

Die Ärmel sind ganz als letztes eingenäht, als alles andere schon fertig war. Es gab Probleme mit dem Muster, aber reden wir nicht davon. Als die Nahtzugaben eingeschnitten waren, hatte ich den Eindruck, da löst sich zuviel auf. Daher habe ich rundherum mit Formbandstücken gesichert, d.h. den Ärmel ausgestopft und freihand „Pflaster“ aufgebügelt, so wie alles zu liegen hat und die Nahtzugaben dann noch mit zwei Runden Zickzackstich bearbeitet. Wie schön ist das Autodidaktendasein: Man muss sich an keine Konventionen halten, sondern darf täglich neue Methoden erfinden. Es entstehen relativ dicke Nahtzugaben besonders an den Teilungsnähten. Diese an den Oberstoff zu befestigen ist dort, wo keine Verstärkung angebracht ist, etwas heikel. Daher würde ich, wenn ich noch einmal eine solche Jacke nähen wollte, alles mit Organza unterlegen. Um das Futter zu schließen, faltete ich es an der Rumpfseite an der Nahtlinie, die Ärmelseite liegt glatt darunter. Im ausgestopften Zustand zu drapieren funktioniert nicht so gut, besser geht es im liegenden Zustand wie bei den anderen Teilen auch, ist aber gerade hier besonders mühselig.

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Den Saum nähte ich mit Rückstichen von Hand. Eine Kette gibt es nicht, die Jacke ist so schon erstaunlich schwer und fällt ganz gut, wie ich finde. Etwas Bedenken hatte ich, ob die Weite des Jackensaums gut mit dem doch etwas auftragenden Rock harmonieren würde. In Hinsicht auf die Stoffdicke war es gut, einen nicht zu knapp sitzenden Schnitt zu wählen, wenngleich ich die Schulterbreite grenzwertig finde, aber das ist nun eben so.

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Vom kritischen Blick und der vielen Arbeit werde ich nun etwas Abstand gewinnen müssen, um mich fortan nur noch über das schöne Ergebnis freuen zu können. Soweit mein Erfahrungsbericht!

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Dieser Beitrag ist verlinkt mit „Frau freut sich“ und „Du für Dich am Donnerstag“.

8 Gedanken zu “Chanel-Kostüm Teil 3

  1. Nähfrosch 20. Juni 2019 / 18:58

    Wow. Das Kostüm ist der Knaller!!! Wahnsinn, wieviel Mühe du dir für diese ganzen Details gegeben hast!!! Ich bin beeindruckt. ❤
    LG
    Katja

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  2. Dein Kostüm ist der absolute Wahnsinn. Ich ziehe alle Hüte vor Deiner Nähkunst und diesem Ergebnis. Du nähst auf einem unglaublich hohen Niveau, das sieht man in der Nähbloggerwelt nicht sooooooooo oft. 🙂 Ich wünsche Dir, dass Du mit dem Kostüm wirklich ganz viele Jahre Freude haben und viele Komplimente dafür bekommen wirst! Meinst hast Du sicher: Es steht Dir ausgezeichnet! Danke auch für Deine Verlinkung bei „Frau freut sich“ – ich hab mich total gefreut! Liebe Grüße! Karin

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  3. Doro 7. Oktober 2021 / 20:22

    Was für ein toller, inspirierenden und informativer Beitrag! Und das Kostüm ist wundervoll geworden 🙂
    Ich träume schon länger davon, einmal ein Chanel-Kostüm zu nähen, habe mich bisher nur noch nicht daran gewagt.
    Vielen Dank!

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    • formspielerins werke 8. Oktober 2021 / 3:58

      Vielen Dank für die Antwort, freut mich sehr. Vielleicht traust du dich ja nun. Wie man sehen konnte, ist jedoch viel Handnähen dabei.

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  4. Bärchen 11. Dezember 2021 / 13:26

    Wow, das ist wirklich toll. Für ein solches Kostüm bezahlt man bei Chanel 7.000 bis 10.000 Euro.
    Herzlichen Glückwunsch!

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    • formspielerins werke 11. Dezember 2021 / 13:36

      Echt? Dass es so teuer werden würde, war mir nicht bewusst. Naja, wenn man die ganze Handarbeit bezahlt nimmt, und es ist ja auch verschiedentlich Seide dabei. Danke für das Kompliment!

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