Rock nach Miro

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Ein sommerlicher Rock aus Leinen ist entstanden. Die Inspiration lieferte der Maler Joan Miro, der am ehesten den Surrealisten zuzurechnen ist. Auf einer fast rohen Leinwand malte er verträumt poetische Figuren. Ich applizierte in vereinfachter Weise die Intention des abstrakten Bildes: Ein entspannter Spaziergang mit Frau und Kind und Hund.

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Für die großen Motive brauchte ich viel Fläche. Ihr wollt nicht wissen, wieviel ich herumgerechnet habe, um aus den vorhandenen 2,85m Stoff einen kniebedeckenden Tellerrock herauszubekommen, der auch noch in Falten gelegt ist. Kürzer hat immer sowas kesses, das wollte ich nicht, eher in Richtung Ethno. Ohne Passe war es nicht möglich, wenn keine weiteren Nähte als die seitlichen vorhanden sein sollten. Mehr Nähte, z.B. im Faltenboden, würden das Gewicht und den Fall verändern. Und auch so habe ich einlagig und quer zum Fadenlauf zuschneiden müssen. Durch die größtmögliche Tiefe der Quetschfalten weiß ich immer, bis wo die Falten reichen und wie zu bügeln ist. Ob soviel Stoff hätte sein müssen, weiß ich auch nicht so genau. Und warum sind die Falten festgebügelt? Damit ich weiß, wo das Motiv hin muss? Der „Ordnung“ wegen? -Nun da der Prototyp fertig ist, könnte man es auch lockerer mit Rollfalten versuchen. Es hat doch was Strenges. Aber ich finde es gut, dass es eine Unterbrechung gibt zwischen den Bahnen, die man bei Kellerfalten ja nicht gehabt hätte.

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Die Farbflächen sind aus kleinen Stoffstückchen zusammengesetzt, genau nach Vorlage. Mit diesem Paperpiecing, so heisst es wohl, wenn man auf Papier näht, sollte ich mich mal genauer befassen. Ich hatte es einfach so probiert und daher etwas mühselig. Als die Flicken dann fertig waren, habe ich sie über eine Bügelschablone aus Pappe gezogen, um die Kanten einzuschlagen. Dafür habe ich von einer Ecke aus einmal rundherum einen Faden geheftet, der dann angezogen werden kann.

Die schwarzen Linien sind durch Makrameeband realisiert. Ich habe es aus dem DIY-Schmuckbedarf. Wie die dünne Schnur befestigt werden sollte, musste ich erstmal testen. Couching, also spiralförmiges umnähen, funktionierte nicht so gut, weil die Linie zu ausgefranst aussah. Das direkte Durchstechen brachte ein besseres Ergebnis. An den Enden ist sie mit einer dicken Stopfnadel durch den Stoff nach hinten gezogen und mit einem einfachen Knoten gesichert. Den habe ich später noch etwas durchnäht, damit er sich nicht lockert.

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Ich finde dieses plastische der aufgesetzten Farbflächen richtig toll, sie wirken fast wie Lackfarbe mit viel Oberflächenspannung. Wie mir überhaupt dieses Handwerkliche gefällt; meinetwegen darf es gern etwas vorindustriell aussehen. Die Motive haben nichts weiter zu bedeuten, sie sind nur vereinfachte Variationen des Bildes. Auch wenn ich finde, dass sie ein bißchen wie Schriftzeichen anmuten (oder Käfer). Es war ganz sicher nicht meine Absicht, etwas fernöstliches zu kreieren. Jedoch auch der Schnitt mit seinen breiten Bahnen macht einen solchen Eindruck.

Bei der Bildrecherche habe ich einiges gesehen, was Miro ist oder danach aussieht. Einige wollen ihn ja gern als den ersten Graffiti-Künstler proklamieren, weil er mal die Gelegenheit ergriff, eine Hauswand zu bemalen, die drei Tage später abgerissen werden sollte. Eine gewisse Ähnlichkeit zu heute anzutreffenden Kürzeln besteht ja.

Die Influenza, die neue genauso wie die alte, hat mich ein wenig vereinnahmt in letzter Zeit. Um die Neugier kommt man halt nicht herum. Was ich sagen wollte, unter „formspielerin“ findet man bei Instagram unter Umständen auch mal einen kleinen Hinweis, was so läuft, falls lange nichts zu lesen ist auf dem Blog, weil das Projekt vielleicht etwas mehr Zeit erfordert (oder ich mal Urlaub mache). Für weitergehende Information ist das Medium jedoch nicht so sehr geeignet. Ich bin geflasht von der Fülle schöner Bilder, aber es ist auch eine sehr unruhige Angelegenheit. Vielleicht möchte man auch mal einen Augenblick bei einer Sache verweilen, sich konzentrieren und nicht an Reizüberflutung sterben? Also meine Meinung ist geteilt, denn ich schreibe und lese lieber Bücher als Telegramme.

Weiter im Text:

Der Saum konnte ganz praktisch mit der Nähmaschine genäht werden. Ich falte die umgeschlagene Kante noch einmal so, dass ich mit dem Füßchen auf dem Saumumschlag nähe und nur hin und wieder ein Stich bis über den Knick geht. Von vorn sieht man dann nur kleine Pünktchen. Manche Stoffe mögen dieses Falzen durch den Nähmaschinenfuß nicht so. Da muss man von Fall zu Fall entscheiden, ob man noch einmal drüberbügeln kann/ will/ muss. (Die Stoffkante habe ich später noch mit Zickzackstich versäubert, muss man aber vielleicht nicht unbedingt.)

Die Schnur ließ sich wohl auch wegen ihrer Webstruktur (nicht gekordelt) gut verarbeiten. Um die vorgesehenen Rundungen hinzubekommen, habe ich sie mit meinen feinen Stecknadeln (0,35mm) festgesteckt. Es sieht ganz lustig aus wie sie da so aufgereiht stehen, finde ich. Genäht ist dann mit einer Sticknadel Größe 10, die auch für die Glasschliffperlen hilfreich ist, denn andere (Näh-)Nadeln sind meist zu dick. Das war wieder viel Handarbeit, hat aber Spaß gemacht. Daher dauerte es auch ein wenig länger.

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Dieser Beitrag ist beim MeMadeMittwoch zu finden. Was zeigen die anderen Hobbyschneiderinnen? Ich bin gespannt!

19 Gedanken zu “Rock nach Miro

  1. Anne von beswingtes Allerlei 3. April 2019 / 11:16

    Ein wirklich cooles, einmaliges Stück – die kunstvollen Details finde ich total spannend. Man wartet ja regelrecht darauf, dass Du Dich weiter drehst und wendest, damit man jedes Motiv einmal betrachten kann! Eine ganz tolle Arbeit 🙂

    Viele Grüße, Anne

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  2. Nria 3. April 2019 / 12:35

    So eine coole Idee und tolle Umsetzung! Auf jeden Fall ein Unikat 🙂

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  3. Siebenschön 3. April 2019 / 16:43

    Ich finde, die Falten passen total gut zu den Motiven. Ein wirklich kunstvoller Rock! 😉
    LG Marlene

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  4. Barbara 3. April 2019 / 17:40

    Das ist kein Rock, sonder ein Kunstwerk! Ganz toll geworden, mir gefällt Deine textile Interpretation von Miro sehr gut. Und streng find ich den Rock überhaupt nicht, sondern eher verspielt, durch die bunten Applikationen.
    Liebe Grüße, Barbara

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    • formspielerins werke 3. April 2019 / 17:47

      Man muss sehen, wie sich der Stoff in Zukunft verhält. Erstmal knittert Leinen ja sehr schnell und die Falten sind dann nicht mehr so deutlich zu erkennen. Zum anderen ist der (Halb-)Tellerrock nicht ausgehangen, soviel Zeit war nicht. Es kann aber sein, dass die applizierten Muster den Stoff in Form halten, so dass da nicht soviel passiert.

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  5. Birgit Schreck 4. April 2019 / 15:04

    Mein erster Gedanke, was für ein cooler Stoff und dann beim Lesen bin ich aus dem Stauen nicht herausgekommen. Was für ein Kunstwerk, total genial. Ein sehr gelungener Rock. Ich mag auch die Kombi aus Leinen und deiner Stickerei. Insgesamt ein sehr schön geschriebener Post. Liebe grüße Birgit

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  6. Twill & Heftstich 4. April 2019 / 18:50

    Was für eine schöne Idee! Die „poetischen Figuren“ haben wirklich etwas von Lackfarbe. Mir gefällt auch, dass Du als Grund naturfarbenen Leinen gewählt hast. Quasi ein Gemälde zum Spazierengehen. Ich habe viele kleine Stoffreste. Zum Wegwerfen zu schade, aber als Nicht-Quilterin wusste ich bisher nicht so recht, was ich damit anfangen soll. Das probiere ich bei Gelegenheit mal aus. Danke für die Inspiration. LG Manuela

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    • formspielerins werke 4. April 2019 / 21:52

      Oh ja, das schaue ich mir gerne an! Man braucht wirklich nur sehr wenig Stoff für die Applikationen. Durch das Leinen = Leinwand ist man gleich auf den Weg gebracht und weiß woran man denken soll, nämlich an Kunst. Aber ich glaube, du hast auch Sinn für Asiatisches, nicht?

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  7. Heike 6. April 2019 / 8:14

    Was für eine tolle Idee, und eine sehr gelungene Umsetzung. Da steckt wirklich viel Arbeit drin.

    LG, Heike

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  8. Ulrike 6. April 2019 / 16:06

    Wundervoll. Die Applikationen sind richtig klasse geworden. LG, Ulrike

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  9. Siebensachen 9. April 2019 / 15:13

    Wenn man nicht sofort kommentiert, verliert man es aus dem Auge … Ich kann mich diesen vielen begeisterten Kommentaren nur anschließen. Großes Kino!
    LG
    Siebensachen

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