Heute stelle ich ein Outfit vor, das ein wenig retro anmutet. Die einfache Farb- und Formensprache sowie das Spiel der grafischen Linien erinnern an Pop-Art und Op-Art, die sich in den 60er Jahren entwickelten. Op-Art ist bekannt für seine optischen Täuschungen, die mithilfe geometrischer Experimente erreicht wurden. Auch ist eine Nähe zu Comic und Werbung vorhanden, denn sie nutzen dieselben plakativen Ausdrucksmittel.
Dass es in diese Richtung laufen würde, ahnte ich allerdings noch nicht, als ich den Zackenrock in den Inspirationen zum Vivien-Westwood-Sewalong gesehen habe. Da ich Geometrie liebe, wollte ich die Herausforderung annehmen, diese Schnittidee umzusetzen. Nur gibt es jetzt Streifen statt Karo.
Der Rock
Er ist, plastisch gesehen, nicht mehr wie ein Kegel. Abnäher, die die Körperform nachempfinden, gibt es nicht. Um eine Abwicklung zu zeichnen, habe ich zwei gemittelte Rockhälften nebeneinander gelegt, d. h. eigentlich sind es nur zwei Passen, es genügt der Bereich zwischen Taille und Hüfte. Die rote gestrichelte Linie zeigt eine gemittelt symmetrische Rockhälfte (von der Seite gesehen).
Die Steigung des Kegels ist individuell vorbestimmt durch die Maße von Taille und Hüfte, besonders aber von der Hüftrundung abhängig. Diese darf nicht übergangen werden, sonst wird es zu eng. Sie bestimmt im Grunde den Winkel des Ringsegments, welches eine Abwicklung ja darstellt. Ich will einen engstmöglichen Tellerrock herstellen, könnte man sagen.
Wenn man die Seitenlinien der beiden nebeneinander gelegten Rockhälften verlängert, erhält man den ganzen flach ausgebreiteten, quasi aufgeschnittenen Rock. Diese Fläche ist in acht Bahnen unterteilt, die wie hier auch schräg verlaufen können. Wenn die Bahnen auf beliebig festgesetzter Rockhöhe die Richtung wechseln, entstehen die stumpfen Winkelecken. Um die Verwirrung komplett zu machen, hier noch ein illustratives Bild meiner Arbeitsunterlagen…
Beim ersten Aneinanderlegen der acht gleichen, ausgeschnittenen Teile war mir der Effekt dann noch zu lau. Um die schrägen Versätze deutlicher zu machen, habe ich nun jedes zweite Teil anders aufgelegt zugeschnitten. Die Streifen laufen mal mit der oberen vorderen Kante parallel, mal mit der unteren vorderen Kante.
Wenn der Winkel im unteren Abschnitt vergrößert würde, könnte man noch mehr Weite erzeugen, vergleichbar mit einem Godet, der dann jedoch gleich mit angeschnitten wäre. Das ist hier nicht der Fall. Ich wollte das Muster nicht von Falten überdecken lassen. Bei einem dünneren Stoff als diesem Baumwollköper wäre diese Möglichkeit denkbar, denn der Fall sähe ganz anders aus. Ein bisschen muss man ja auch an Eigenschaften wie Gewicht und Wärme denken. Dieses soll jedenfalls ein Sommerrock sein.
Eine weit ausgestellte Version dieser Schnittidee wurde im Herbst 2015 während des Vivien-Westwood-Sewalongs bei „Alles neu macht der Mai“ realisiert.
Um die Ecken zu nähen, muss man die Innenecken einschneiden. Der Reißverschluß ist zwischen zwei Bahnen schräg eingenäht. Um Saum- und Bundbesätze zu sichern, habe ich von der rechten Seite in den Nähten genäht, vorwiegend dort, wo ein schwarzer Streifen parallel anliegt, damit es unsichtbar bleibt. Die übrige Saumbefestigung ist von Hand geschehen. Weil der schwarze Faden auf den weißen Streifen nicht zu sehen sein sollte, mussten sie überbrückt werden, siehe Detailbildgalerie. Der Gürtel ist übrigens gebogen und noch original 80-er!
Das Shirt
Im Beitrag „Kapuzenshirt“ ging es um eine weite Raglanärmelversion. Hier habe ich eine anliegende Form mit Oberarmnaht realisiert. Die Grafik zeigt das grundsätzliche Vorgehen beim Anlegen des Ärmels an Vorder- und Rückenteil. Die Teile sind durchsichtig gezeichnet. Genaueres findet man z. B. im Standartwerk für Blusen und Kleider von Müller&Sohn, mit dem auch die Industrie arbeiten soll. Dass das anspruchsvolle Literatur ist, brauche ich wohl nicht zu sagen.
Die Anleitung zur Erstellung eines abnäherlosen Shirtschnittmusters habe ich in „Historische Schnitte“ auch von Müller&Sohn gefunden, erschienen im Rundschau-Verlag. Wie man in der Grafik sieht, fällt oben an der Armkugel etwas weg. Sinnvoll ist, das ein wenig auszugleichen, indem man auf der Schulter etwas zugibt. Auch eine kleine Armlochvertiefung kann nicht schaden. Diese beiden Dinge habe ich nicht gemacht. Man sieht, es ist eine engstmögliche Variante entstanden.
Der Halsausschnitt ist mit Besatz gearbeitet, der an den Nahtzugaben befestigt ist. Man hätte auch ein gedoppeltes Band unternähen können, aber offen gesagt, ich tue mich schwer mit meiner relativ einfachen Maschine ohne Differenzialtransport. Deswegen gehe ich bei Jersey ungern Risiken ein. Gute Hilfe leistet mir aufbügelbares, unelastisches Formband, hier gegen Wellen an der Außenkante des Besatzes und am Saum gegen Ausleiern.
Zum Schluß zeige ich noch einige Detailbilder zur Verarbeitung (Anklicken für größere Ansicht).
Der MeMadeMittwoch-Blog zeigt weitere Kreationen anderer Hobbyschneiderinnen!
Nachtrag 22. Juli 2016
Passenderweise bin ich im Urlaub in der Kölner Innenstadt an einer Geschäftswand vorbeigekommen, die ein Plakat im Stil Roy Lichtensteins zeigt. Das musste sogleich festgehalten werden. Tatsächlich war ich vor ca 25 Jahren mit der Fachoberschule schon einmal in Köln, wo ich die Pop-Art-Originale im Museum bewundern konnte. Ob es im Wallraf-Richartz-Museum oder im Museum Ludwig gewesen ist, weiß ich nun nicht mehr, aber beide sind einen Besuch wert.
Wow! Dein Outfit ist toll und ich freue mich total darüber, dass Du erklärst, wie Du es gemacht hast!
Gruß, Christin
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Ein schönes, gut durchdachtes Outfit und Danke für die ausführlichen Erläuterungen!
Wie du mit dem Streifenverlauf am Rock gespielt hast, gefällt mir sehr. Ihn alternierend einzusetzen unterstreicht den grafischen Charakter aufs Feinste.
LG, Bele
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Wow, ein tolles Outfit! Du hast wirklich Talent, Formen und Farben auf wunderbare Weise miteinander zu kombinieren!
LG
Nina
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Wow, Wahnsinnsoutfit, weiß gar nicht was ich schreiben soll. Auf alle Fälle perfekt kombiniert. Der Rock gefällt mir besonders gut, aber auch das grüne Shirt mit Deinen Änderungen. Danke für Deine detaillierten Erklärungen
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Super schöner Rock, der neben Näharbeit allerhand an Denkarbeit erfordert! Er ist aber auch ganz besonders geworden! Super!!! Das grüne Shirt macht das Outfit komplett – sehr, sehr schön!
Liebe Grüße Irene
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Danke für die Einblicke in deine Vorgehensweise bei der Schnittkonstruktion. der Rock ist einfach großartig.
LG
Susanne
PS: In meinem Fundus tummeln sich auch noch Teile aus den siebziger und achtziger Jahren.
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Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich verstanden haben. Der Effekt ist allerdings grandios. LG, Nina
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Der Rock ist der Hammer! Superschön.
LG Lotti
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Wow, was für ein Rock! Die Streifen ergeben einen super Effekt. Großes Kino, besonders mit dem gelben Gürtel!
LG
Sandra
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Vielen Dank!
Ich habe mir mal dein blaues Leinenkleid Ameland angeschaut. Leider kann ich bei dir nicht kommentieren, weil meine WordPressadresse auf https lautet statt dem vorgesehenen http. Wie oft habe ich mich wohl schon geärgert, wenn bereits geschriebene Kommentare nicht gesendet werden können, oder bin ich zu dumm? Vorteilhaft wäre, wenn immer auch Name und URL als Option vorgegeben ist. Deswegen mal hier: Für die Ärmel wäre vielleicht denkbar, sie mit einem Streifen zu verlängern und die Paspeln als Ende eines Ärmelaufschlags aussehen zu lassen so wie ich es bei meinem Kleid mit Taillenpasse gemacht habe. So kann die Paspel eigentlich nicht mehr abstehen. Beim Dirndl-Sewalong habe ich auch gelernt, dass man, wenn man es geschickt angestellt hat und das innere Bändchen der Paspel nicht übernäht hat, auch daran ziehen kann. Wenn der Ärmel nun länger ist, besteht auch die Möglichkeit an der Armkugel noch mal neu zuzuschneiden. Hilft das jetzt noch? Regina
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Zwei tolle Sachen sind das. Beim Rock verstehe ich zwar nicht ganz, was du gemacht hast, aber klasse ist der.
Lg Iris
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Ein toller Rock! Ein richtiger Hingucker mit dem Um-die-Ecke-Streifen-Effekt.
LG
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Vielen Dank an alle für die netten Kommentare! Man kann schon einiges machen mit Form und Farbe. Wahrscheinlich ist nicht alles vollständig darstellbar. Letztenendes steckt doch jeder in seinem eigenen Projekt und findet seine eigenen Lösungen. Aber ich konnte einen Einblick geben!
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Deine Streifenspielereien sind ja ganz wunderbar! Wie schön, wenn man mit Grafikprogrammen so gut experimentieren kann! Dein Rock sieht toll aus!
Liebe Grüße, SaSa
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Es hat etwas gedauert, aber nun ist der Kaffee durchgelaufen, wie man so sagt. Mir hat diese Schnittidee genauso gefallen: ein Rock, der, wenn man von den Besätzen mal absieht, nur aus einem Schnittteil besteht! Der Vorteil vom Grafikprogramm ist, dass die Sache genau bleibt und man einen besseren Überblick behält, als wenn man in Echtgröße auf Papier zeichnet. Es geht aber alles auch ohne.
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Also, wirklich tricky, wie Du Deinen Rock entwickelt hast und ein großartiges Ergebnis! Ebenso das schöne Shirt dazu, liebe Grüße Michaela
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Vielen Dank für die wunderschönen und interessanten Einblicke in Deine selfmade-Garderobe!
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einfach ein Megahingucker dein Rock…. LG von Sandy
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Sehr cooles Outfit! Der Rock ist ein echtes Meisterwerk. LG Kuestensocke
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Einfach klasse! Ich war echt baff, als ich gelesen habe,wie viele Überlegungen du zur Geometrie der Schnitte eingebracht hast, da schaut man gleich nochmal anders auf das Ergebnis. Beides – Rock und Oberteil steht dir auf jeden Fall sehr, sehr gut!
Viele Grüße
Friedalene
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Was für ein cooler Rock. Da hast du dir echt Arbeit gemacht.
Viele Grüße
Elke
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Wow, der Rock ist wahnsinnig toll geworden, ich hätte wahrscheinlich Augenkrebs beim nähen bekommen ;), das flimmert bei mir schon beim Foto’s schauen. LG Diana
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Danke ! Aber ganz so schlimm ist es nicht, die meiste Zeit sieht man beim Nähen die Rückseiten.
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Ich bin verliebt! Dein Rock ist der Hammer und das ganze Outfit einfach nur toll. Vielen Dank auch für deinen ausführlichen Post. So etwas lese ich immer sehr gerne!
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Ich sehe gerade, dass ich damals gar nicht kommentiert habe…aber…dieser Rock! 😍
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Dieser Beitrag ist bis heute mein meistgesehener und ich möchte mal bescheiden behaupten, dass er durchaus inspirierend gewirkt hat.
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